Silverrudder Challenge 2023

Es ist eines dieser Abenteuer, die einen nicht mehr loslassen – die Silverrudder Challenge. Einhand und nonstop, 140 Meilen rund um die Insel Fyn, ohne Bahnmarken, ohne Verrechnung. So einfach und doch so anspruchsvoll.

Mein erster Versuch 2014 mit der X-99 Swash Buckler endete nur 20 Meilen vor dem Ziel mit einer Aufgabe, in einer Endlos-Flaute unter der Großen Belt-Brücke. Der zweite Anlauf 2016 brachte dann das ersehnte Finisher-Shirt und einen Haufen unvergesslicher Erinnerungen. Und eben die reizten mich seit dem Umstieg von der X-99 auf die Seaquest 36, es noch einmal mit Wildcard zu versuchen. Nachdem das Schiff einen Autopiloten bekommen hatte, gab es dann auch keine Ausrede mehr – also hab ich mich im Frühjahr 2023 angemeldet und seitdem den ganzen Sommer auf den 15. September hingefiebert 🙂 Das Rennen ist mit 430 gemeldeten Schiffen wieder ausgebucht, allein 93 davon in meiner Klasse „Keelboats Large“.

Ein paar Tage vorher geht es mit Georg und Sven los auf die Überführung, bei allerbestem Spätsommerwetter, wenn auch etwas schwachwindig. Wir haben Zeit und besuchen noch die Insel Omø und Lohals auf Langeland, bevor wir am Dienstag in Svendborg ankommen. Der Hafen ist bereits jetzt voll und außer für die Teilnehmer gesperrt, aber die Veranstalter machen einen tollen Job und weisen mit Schlauchbooten jedem Ankömmling seinen Platz zu. Die Atmosphäre im Hafen in den Tagen vor dem Start ist wie immer unvergleichlich. Ich treffe mit Christian (Hanse 370 Svea) und Dirk (First 40.7 Now or Never) alte Bekannte, die ich seit dem Rennen 2016 nicht mehr gesehen habe – dennoch fühlt es sich an, als wäre es erst vorgestern gewesen.

Ich bekomme die Startnummer 344 zugeteilt, und Wildcard besteht ihren Sicherheitscheck durch einen der vielen, superfreundlichen Helfer des Regattateams. Die Nervosität steigt und steigt, vor allem, als sich am Donnerstag Abend beim Skippermeeting meine Befürchtung bestätigt und Regattachef Philip Cossen bekanntgibt, dass es links herum um Fyn geht. Das bedeutet bei dem vorhergesagten Südost-Wind einen Kreuzstart mit 93 Schiffen auf den ersten zwei Meilen im engen Svendborgsund. Wenn das mal gutgeht… Eigentlich besteht mein Plan darin, mich aus dem Startgetümmel ganz vorn rauszuhalten und weiter hinten zu starten. Philip Cossen meint jedoch zu mir, ganz vorn an der Linie seien regelmäßig nur fünf bis sechs Boote wirklich pünktlich am Start, und ob das nicht vielleicht die bessere Option wäre? Hm.

Nachdem ich in der Nacht vor dem Start vor Aufregung so gut wie keinen Schlaf finde, geht’s Freitag Vormittag endlich los. Mein Start ist auf 11.30 Uhr angesetzt. Die kleineren Klassen Mini, Small und Medium sind schon zuvor gestartet, nach uns kommen noch „Keelboats Extra Large“ und zum Schluss die Mehrrümpfer. Wie vorhergesagt, haben wir 10-12 Knoten Südost, also am Start genau von vorn. Und es ist voll. Richtig voll. Ich halte mich auf der Steuerbordseite des Sunds, immer mit einem Blick auf den Plotter, um nicht auf einem der Flachs rechts und links des Fahrwassers zu landen. Und irgendwie komme ich dann doch innerhalb des ersten Teils des Felds über die Linie (laut Tracker als 17.) – danke für den Tipp, Philip!

Start der Klasse „Keelboats Large“

Die Kreuz den Sund herunter ist aufregend, aber läuft prima. Mein Schwesterschiff Circus liegt knapp hinter mir, unser Speed an der Kreuz ist identisch. Nach 14 Wenden und etwa einer halben Stunde sind wir aus dem Sund raus und haben einen Anlieger bis Thurø Rev.

Jetzt, in freiem Wasser, legt sich endlich auch die Aufregung etwas. Gegen 12:20 Uhr passieren wir Thurø Rev und es geht gen Norden zur Großen Belt-Brücke. Was anfangs ein perfekter Halbwindkurs mit dem Code 0 ist, wird bald wesentlich raumer, so dass ich auf den Gennaker wechsele. Und hier rächt sich jetzt, dass ich übervorsichtigerweise den großen A2-Vorwindgennaker zu Hause gelassen habe – Circus zieht eine riesige Blase und enteilt, während ich nur den deutlich kleineren Urlaubsgennaker zur Verfügung habe. Das erinnert mich an den alten Spruch – man kommt besser nicht mit einem Messer zu einer Schießerei 🙂

Die nächste Überraschung kommt an der Beltbrücke: Die näher an Fyn gelegene Westbrücke hat offiziell eine Durchfahrtshöhe von maximal 16,90m. Alles mit einem längeren Mast muss durch die höhere, aber weiter entfernte Ostbrücke. Mein Mast mit dem langen Windsensor ist definitiv wesentlich höher, so dass ich den Umweg über die Ostbrücke in Kauf nehmen muss. Laut Tracker fährt Circus dagegen zur Westbrücke und kommt dort auch durch…?? Nach dem Rennen erzählt mir der Eigner, dass er das vorher bei ruhigem Wetter schonmal vorsichtig probiert hat und extra noch den langen Windsensor im Masttopp durch einen kürzeren ersetzt hat. Unglaublich 🙂 Damit passiert Circus die Brücke schon gegen 15:00 Uhr, während ich erst rund eine halbe Stunde später durchkomme.

Ab hier wird es jetzt ein Vorwindschlag bis zur Nordostecke der Insel bei Fyns Hoved, was mit diversen Halsen verbunden ist. Ich erreiche die Ecke gegen 19:30 Uhr und damit ca. 50 Minuten nach Circus, was angesichts des kleinen Gennakers und des Umwegs bei der Brücke noch in Ordnung geht. Ab Fyns Hoved gibt es dann einen schönen Halbwindkurs von 16 Meilen bis Æbelø, und Wildcard, immer noch unter Gennaker, rauscht los, mit dauerhaft 8-9 Knoten Speed. Es ist eine traumhafte Atmosphäre, goldgelbes Herbstlicht im Sonnenuntergang, rundherum jede Menge Boote.

Als ich gegen 21:30 Uhr Æbelø erreiche, ist es schon dunkel. Der Kurs von hier in Richtung Strib, dem Eingang zum Kleinen Belt, wird deutlich spitzer, so dass der Gennaker runterkommt. Die unzähligen Positionslichter der vielen Boote um mich herum sind beeindruckend, lassen sich aber nicht wirklich gut fotografieren. Bereits 23:30 Uhr erreiche ich den Kleinen Belt, nach wie vor etwa eine Stunde hinter Circus. Zum Glück steht hier im Belt noch nicht der befürchtete Gegenstrom, so dass ich noch prima durchkomme, jedenfalls bis zur zweiten Brücke. Dann aber sehe ich eine halbe Meile vor mir schon ein Meer von Hecklichtern – bei Galsklint hat sich ein riesiger Parkplatz gebildet. Hier ist absolut kein Wind… also parke ich mich dazu. Und wir warten. Mein einziger Gedanke ist – ich muss hier rauskommen, bevor der Gegenstrom einsetzt! Einige versuchen, von der Innenkurve bei Galsklint weg und weiter in den Belt hinauszukommen, aber das funktioniert nicht, auch dort ist kein Wind. Wie von Geisterhand getrieben, treibe mal ich an einigen Booten vorbei, dann wieder sind die anderen dran. Es ist eine echte Mausefalle.

Um mich herum hört man ab und zu Ankerketten fallen und Motoren starten, nicht Wenige geben hier das Rennen auf. Aber solange ich nicht zurücktreibe, macht Ankern keinen Sinn. Zum Glück geht es nicht zurück, sondern vorwärts, wenn auch nur manchmal und quälend langsam. Ich habe mittlerweile wieder den Code 0 oben, um jeden noch so kleinen Windhauch einzufangen. Auf dem Tracker sehe ich, dass Circus schon gegen 03:00 Uhr morgens an Fænø vorbei und damit dem Kleinen Belt entkommen ist – ich brauche dafür drei Stunden mehr, und passiere Fænø erst 06:00 Uhr. Im Tracker ist später auch gut sichtbar, dass je später man im Kleinen Belt angekommen ist, desto länger man dort geparkt hat. Insofern habe ich noch Glück, „nur“ etwa fünf Stunden für die knapp 4,5 Meilen zwischen Galsklint und Fænø gebraucht zu haben 🙂

Ab Fænø tausche ich den Code 0 wieder gegen die Genua, es geht nun bis Svendborg auf eine ewig lange Kreuz, so dass ich bis zum Ziel selbst an der Pinne sitze und der Autopilot sich erholen darf. Zwischen Bågø und Lyø frischt der Wind gut auf, es gibt jetzt konstant 15-16 Knoten auf die Nase, dazu eine unangenehm steile Welle. Gegen 12:00 Uhr mittags habe ich endlich Lyø erreicht. Jetzt im Wellenschutz der Inseln macht die Kreuz richtig Spaß, und Wildcard und ich fädeln uns mit diversen Wenden zwischen Lyø, Bjørnø, Avernakø, Drejø und Skarø hindurch bis zum Westeingang des Svendborgsunds.

Schon jetzt macht sich der Gedanke breit, es so gut wie geschafft zu haben. Aber ich versuche ihn zu verdrängen, im Svendborgsund kann durchaus noch mit Flaute und/oder Gegenstrom die eine oder andere Schweinerei drohen… Aber gegen 15:00 Uhr erreiche ich den Sund, und es geht alles glatt, mit nur noch drei Wenden komme ich gut durch und passiere die Ziellinie 15:53 Uhr. Damit lande ich nach insgesamt 28 Stunden und 23 Minuten auf Platz 18 der Klasse. An den drei Stunden Vorsprung, die Circus am Ausgang des Kleinen Belts hatte, hat sich nicht mehr viel verändert, Circus war bereits 12:46 Uhr im Ziel und damit auf Platz 6. Glückwunsch, Thorsten!

Kaum bin ich über die Linie, fängt mein Handy wie verrückt an zu piepsen und zu bimmeln 🙂 Ich freue mich über alle Glückwünsche, kann aber überhaupt nicht reagieren, sondern muss erst mal die Segel einsammeln und Wildcard in den Hafen bringen. Der ist noch erstaunlich leer, erst jetzt realisiere ich, wie viele Boote im Kleinen Belt das Rennen abgebrochen haben. Von den insgesamt 430 Schiffen sind nur 232 ins Ziel gekommen, in meiner Klasse „Keelboats Large“ nur 55 von 93 Startern. Umso mehr freue ich mich, dass ich durchgekommen bin und mir das lang ersehnte Finisher-Shirt abholen kann 🙂 Es war wieder ein unvergessliches Abenteuer!

Allerbesten Dank an Wildcard, die wunderbar funktioniert hat, an Georg und Sven für die tolle Hin-Überführung, an Thomas Hunfeld, der mich am Sonntag im Auto nach Greifswald mitgenommen hat, an Ingo & sein Team für die Rücküberführung und natürlich an das gesamte Veranstaltungsteam rund um Philip Cossen für die absolut reibungslose Organisation!

Hier gibt es die Ergebnisliste der Klasse „Keelboats Large“ und hier die Gesamtergebnisse.

Das Replay des Rennens im Tracker ist hier zu finden, und hier eine Fotogallerie.

YACHT: Das beste Silverrudder jemals

Und zum Schluss noch das offizielle Recap Movie vom Veranstalter selbst:

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